Kewpie - eine Chimäre

 

Der Begriff Chimäre ist aus der griechischen Mythologie bekannt. Eine Chimäre oder Chimära, griechisch Chímaira, ist ein 'Mischwesen' und meint, dass ein Wesen aus zwei oder mehreren anderen besteht. (Wikipedia) Der griechische Name bedeutet „Ziege“. Wir kennen auch andere Mischwesen, z. B. Minotauros, Sphinx, Zentaur, Basilisk und einige weitere. Aber sie gehören alle in das Reich der Mythologie. Da ist die Bedeutung noch leicht zu verstehen und vor allem in den Darstellungen anschaulich abgebildet.

 

Chimären gibt es auch im Pflanzenbereich. Eine Art von Chimärenbildung ist sogar allgemein bekannt, wird sie doch im Gartenbau als Standardmethode angewendet, um Obstgehölze (auch bestimmte Gemüsearten) zu veredeln. Gemeint ist das 'Pfropfen'. Dabei wird auf eine 'Unterlage' das entsprechende 'Edelreis' aufgepfropft. Zwei verschiedene Pflanzenteile werden zu einem Organismus verbunden.

(Wikipedia: Pflanzenveredelung, Pfropfen). Das wird künstlich/händisch ausgeführt und die Pfropfstellen, also wo die verschiedenen Pflanzenteile zusammengefügt wurden, sind meistens noch nach Jahren (bei Obstgehölz) gut sichtbar.

 

Und dann gibt es Chimären - wir bleiben bei der Pflanzenwelt - wo die verschiedenen Teile einer Pflanze nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind, weil sie eben nicht sichtbar abgegrenzt sind. Dabei ist die gesamte Pflanze, der gesamte Organismus  aus genetisch unterschiedlichen Zellen oder Zellgeweben aufgebaut, also wesentlich kleiner strukturiert. Um hier nicht zu wissenschaftlich zu werden, sei wiederum auf Wikipedia verwiesen. (Wikipedia englisch ist wesentlich ausführlicher.)

Chimären, die auf natürliche Art in dieser Form entstanden sind, sind eher selten.

 

Damit kommen wir zu Kewpie.

Um es gleich vorweg zu sagen: Wir schauen bewundernd auf die panaschierte, rosa und weiß gestreifte Blüte. Doch das eigentlich Wesentliche ist, dass am selben Strauch, am selben Zweig, im benachbarten Blütenstand, ja innerhalb des selben Blütenstandes sich verschiedene Blüten herausbilden können. Nämlich von der offenbar ursprünglichen einfach rosa blühenden Sorte und die neue gestreifte Form. Wobei diese neue spektakuläre Blüte nicht die Chimäre ist, sie ist nur das Ergebnis der Chimärenbildung. Die Chimäre selbst ist der Gesamtorganismus aus dem Aufbau verschiedener genetischer Zellen im Gewebe. Es ist vielleicht Glück oder  Zufall, dass die Pflanze - als Relikt oder Beweis - aus ihrem verschiedenartigen Zellgewebe auch noch die frühere einfache rosa Blüte bildet. Ob auch die Streifen der einzelnen Blütenblätter der typischen Kewpie-Blüte auf verschiedene Zellen im Zellgewebe zurückgehen und damit ein Beweis der Chimärenbildung sind? - Nur eine Genanalyse im Laboratorium könnte hier Klarheit schaffen.

 

Wir haben den Bericht, dass man sich bemüht hat, die gestreifte Blütenform zu sichern, indem man immer nur Stecklinge  von diesen Zweigen genommen hat. Doch auch nach vielen solchen Stecklinsgenerationen kommt immer noch die einfache rosa Blüte zum Vorschein. Daher gründet sich die Annahme, im Zellgewebe selbst sind immer die beiden verschiedenen 'Wesen' des Gesamtorganismus vorhanden. 

 

Die Verschiedenartigkeit der Blütenformen und Blütenfarben.

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus
Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus
Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

So sieht die klassischen ‘Kewpie’ aus, mit großen Blüten wie Windräder, die Blütenblätter schmal nach außen gedreht mit einer starken Panaschierung (stark rosa-weiß gestreift).

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus
Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus
Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

Sie kann aber auch anders: Die Streifung bleibt, die Art der Korona bleibt aber die Blüten sind rundlicher, keine Windräder mehr. Doch immer erkennt man noch leicht die ‘Kewpie’.

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus
Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus
Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

Wenn man nicht wüsste, dass es sich um ‘Kewpie’ handelt, oder weil die Blüten am selben Strauch oder am selben Zweig stehen, könnte man auf den ersten Blick glauben, es sind einfach rosa Oleanderblüten. Aber es sind Kewpie-Blüten, 'die anderen Kewpie-Blüten', die chimären Blüten, die aus dem anderen Zellgewebe aufgebaut sind.

Das dritte Bild zeigt eine Mischform: Sieht in der Form aus wie eine ‘Kewpie’, ist aber nur rosa.

Generell muss man zur Farbe Rosa bei ‘Kewpie’ sagen, es ist ein Rosa, das zu Magenta tendiert.

Bilder vom Juni 2021

Hier ist „Das Phänomen Chimäre“ beim Oleander 'Kewpie' an ein und der selben Pflanze gezeigt: Zwei Blütenstände haben im gleichen Zeitraum  am selben Zweig einer Pflanze die verschiedenartigen Blütenformen entwickelt.

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

Erstes Bild vom 4.Juni 2021:

Die Blüte eines Blütenstandes ohne Streifen einfach rosa.

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

Zweites Bild vom 8. Juni 2021:

Die Blüte eines zweiten Blütenstandes ist stark gestreift, rosa - weiß panaschiert.

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

Drittes Bild vom 9. Juni 2021: Hier sind die beiden Blütendstände voll erblüht. Sie befinden sich an der selben Pflanze am selben Zweig. Es ist  auch ersichtlich, dass sich im Laufe der Tage die Blütenform verändert. Zuerst sind die Blüten rundlich, nach ein bis mehreren Tagen nehmen die Blütenblätter die charakteristische eingerollte Form an.

Interessant ist auch, dass die rosa Blüten an einem heuer gewachsenen Blütenstand entstanden sind, die gestreiften Blüten aber an einem Blütenstand, der mit dem Wachstum noch im vergangenen Herbst begonnen hat und der die Wintersaison überdauert hat.

Oleander 'Kewpie' , Oleander Haus

Diese Aufnahme einer 'Kewpieblüte' verdient besondere Aufmerksamkeit und hat wahrscheinlich Seltenheitswert.

Es ist, so zu sagen, das 'Missing Link' in der Kette der möglichen genetischen Veränderungen in dem gemeinsamen Zellgewebe: Die einfach rosa blühende Form an einem Strauch - an einem Zweig - an einem Blütenstand - als einzelne Blüte - und hier in einer Blüte ein Blütenblatt - (und vielleicht) bis zu den einzelnen Streifen innerhalb eines einzelnen Blütenblattes.

Bild: Barry Landry, Galveston.


 

Bisherige Quellen zu Kewpie.

Elisabeth Head, langjährige Präsidentin der International Oleander Society/Galveston, wusste über die Eigenart als ‚Chimäre‘ bei der neuen Oleander-Sorte Bescheid (Die Geschichte von KEWPIE, Elisabeth Head):

„ . . . Man sagte uns, wir müssten etwa vier verschiedene aufeinanderfolgende Vermehrungen durchführen, um sicher zu sein, dass die Sorte dauerhaft wäre, und dass sie nicht an ihre ursprüngliche Form zurückkehren würde, da sie einige einfarbige als auch einige panaschierte (bunte, buntgestreifte) Blüten zeigte. Wir wählten immer die Pflanzen aus,  die die meiste Panaschierung behielten, und so entschieden wir weiter, bis sie dauerhaft schienen. Im Lauf der Zeit entdeckten wir, dass einige Sträucher mehr einfarbige Blüten haben als andere. Wir versuchten bei der Vermehrung  immer nur die panaschiertste zu wählen. Es könnte ja sein, eine zweite Chimäre hat die Verwandlung verursacht. . .“

Im Buch ‚Handbook on Oleanders von Richard & Helen Eggenberger‘ (Die Geschichte von KEWPIE, Eggenberger) wird über die 'ungewöhnliche Pflanze' erzählt  " . . . Die Blüten waren rosa, einige Blüten waren sehr bunt; Ein Zweig brachte durchwegs Blüten hervor, die alle bunt waren. Diese Spielart wurde zu Ehren von Frau Kewpie Gaido bewurzelt (eingepflanzt) und benannt. Es ist eine große Windrad-förmige Blüte, bunt rosa und weiß . . ." 

Man kann zwar aus dem Text sinngemäß interpretieren, dass zwei Oleandersorten in einer Pflanze vereinigt waren, das Wort 'Chimäre' kommt aber explizit nicht vor.

 

Andere Beispiele von 'Chimären'.

Rose, Chimäre , Oleander Haus
Rose, Chimäre , Oleander Haus

 

 

Zweifärbige Rosen

Wikimedia

Wikipedia (generell über Chimären, engl.)


Harriet Newding , Chimäre, Oleander Haus

 

Robert Newding, International Oleander Society/Galveston, erklärte, dass der von ihm in seinem Garten in Galveston entdeckte und von ihm benannte Oleander 'Harriet Newding’eine Chimäre sei (Die Geschichte von KEWPIE, Newding). Das heißt, die Pflanze ist von Natur aus genetisch instabil. Zu jeder Zeit und an jedem Teil des Strauches, auch an demselben Zweig, können die Blüten anders als die bekannten panaschierten aussehen. 

Bild: Frau Milei Krisztina Horváth 


Ginster und Goldregen , Chimäre, Oleander Haus

 

 

 

'Laburnocytisus 'Adamii' 

Ginster und Goldregen bilden gemeinsam eine Chimäre.

Eigentlich künstlich durch Zufall beim Versuch einer Pfropfung entstanden. Ausführliche Beschreibung wikipedia (engl.)


Apfel , Chimäre, Oleander Haus

 

 

Seltsame Streifen am Apfel.

Zur Erntezeit zeigen sich auch bei Früchten immer wieder Chimären.

Aus: Wochenblatt, Landwirtschaftsverlag GmbH, Dr. Helga Buchter-Weisbrodt

 


Tulpe , Chimäre, Oleander Haus
Plumeria , Chimäre, Oleander Haus

 

 

 

Eine Sammlung von Blüten-Chimären.

picuki.com

Im Bild Tulpe  und Plumeria.


 

Linksammlung  über Mutation und Chimäre

 

Jänner 2021, Juli 2021, Oleander Haus